DEPRESSION ODER DIE DUNKLE NACHT DER SEELE
Der folgende Text beinhaltet meine Reflexion zu diesem Thema.
Es war mir dabei ein persönliches Anliegen, ein in den letzten Jahren verstärkt zu einer Art "Volkskrankheit" mutiertes psychisches Erleben zu etwas "Normalem" zu machen, ohne es dafür im Gegenzug zu etwas "Spirituellem" hochzustilisieren. Es ging mir darum, einen entspannteren und verständnisvolleren Umgang diesem Geschehen gegenüber aufzuzeigen.
SCHWIMMEN ODER TAUCHEN LERNEN?
oder
Depression vs. die dunkle Nacht der Seele
Ich gehe von einer Welt des Yin & Yang aus – das Universum, die Energien, das Leben, die Seele, der Körper, der Geist, etc. suchen nach Ausgleich – ob auf kollektiver oder individueller Ebene.
Kollektiven Ausdruck findet es in einer "lichtorientierten" Gesellschaft in der "happy" besser als "depri" ist, in der auf der einen Seite die Gipfelzustände, Bestellungen beim Universum, The Secret und Co. boomen und auf der anderen Seite immer mehr einschränkende Gesetzesfluten, psychische Krankheiten und eine Jugendkultur der "Emos" erblühen - wobei die Frage der Ernsthaftigkeit oder "Verwaschenheit" dieser lichten und dunklen Seiten zu stellen ist.
Die Gesellschaft befindet sich – überspitzt formuliert – in einer Grauzone der "Neonreklamegefühle", in der vieles "künstlich" ist. Man kann den Geist damit füttern, den Körper halbherzig damit befriedigen, die Seele verhungert daneben aber auf Dauer in einer "normierten" Welt und fordert ihr Recht.
Es mag schön sein, wenn die Moral und die Gesellschaft einen dazu verpflichten, sich um seine Kinder, die Karriere, den Haushalt, Modetrends, lebenslanges Lernen etc. zu kümmern, doch der Mensch als solches ist dadurch eventuell alles andere als befriedigt. Er "funktioniert".
Und so wie Menschen oft nicht die Spitze der positiven Gefühle erleben (andauernde Zufriedenheit), erleben sie in der Depression oft auch nicht das andere Ende der sogenannten negativen Gefühle, weil sie es nicht zulassen können.
Kann man Depression also als Krankheit des "funktionierenden" Menschen, als Aufschrei der Seele verstehen?
Man könnte sagen grausam, doch letztlich sind wir als Seele hier auf die Welt gekommen, um uns in diesem Körper zu erfahren und mit diesem Geist zu reflektieren, also ist nachvollziehbar, dass sich die Seele auch ausdrücken möchte, da sonst der Erfahrungsrahmen ein sehr kleiner ist.
Ist die Depression dann nicht eigentlich wunderbar? – Das, was wir nicht freiwillig machen, die Seite die wir verdrängen, drängt sich uns nun liebevoll auf. Wir können sie annehmen und uns anschauen. Zuerst wuseln wir herum, wir haben "Freude & Glück" als oberste Priorität im Leben – fein und? Was ist mit dem Rest, was ist mit dem, was wir eigentlich früher einmal wollten, was ist mit der Freiheit? Die Depression gibt im Stillstand und in der ihr immanenten Leere die Chance, sich wieder ganz auf sich zu besinnen – ohne Netz und doppelten Boden, ohne Rettungsanker, als "Reboot" des Systems Mensch.
Man kann natürlich sagen, "liebevoll" wäre etwas übertrieben als Bezeichnung, doch wie liebevoll gehen wir mit unserer Seele vorher um? Wie viele Träume haben wir in der Kindheit, vielleicht sogar noch während des Studiums gehabt – wie haben wir die Welt "verbessern" wollen und dann? Wer tut es? Wo sitzt die Hippiegeneration heute – im Nadelstreif in den Businessetagen, ein paar Althippies protestieren immer noch. Was hat sich bewegt? Freie Liebe? Sind wir nicht genauso prüde, nur anders als damals? Gehen wir heute nackt durch die Straßen, haben Gruppensex an einem öffentlichen Ort und keinen stört’s? Ist es relevant? – Vielleicht nicht und sicher auch nicht das Bedürfnis eines jeden, doch es gibt auch "kleinere" Träume die nicht gelebt werden – die Seelenträume eines jeden einzelnen eben – und diese wollen ausgedrückt werden, doch der Verstand schiebt sich munter drüber und der Körper hilft nach bestem Wissen und Gewissen mit und "funktioniert".
Also gut, wir nehmen an, die Seele stupst uns sanft und führt uns aus dem Herumgewusle unseres Alltags in den Stillstand, aus dem Hinterhergehetze nach "Emotionskicks", nach Freude, nach Fun ins stille Besinnen, von der Neonbeleuchtung in die Dunkelheit.
Wenn wir Tageslicht leben ("echte" Gefühle, Seelenfreude), dann ist die Dunkelheit der Nacht doch eigentlich normal, doch wenn wir permanent im Kunstlicht stehen, kann das Dunkel die Hölle sein. Eigentlich recht spannend, wenn dann in der Behandlung von Depressionen gerne die Lichttherapie empfohlen wird – wenn uns das Kunstlicht der Berieselung ausgegangen ist, schalten wir eben ersatzweise eine andere Lampe an ... . Drehen wir nicht schon kleinen Kindern in der Nacht ein Lämpchen an, damit sie keine Angst vor der Dunkelheit haben? – Die Konditionierung beginnt also schon sehr früh.
Doch in der Depression die also auch als absolute Chance wahrnehmbar wäre, fällt es am Schwersten – wir haben ja oft genug gelernt "aufgeben ist nicht" – sich dem Gefühl des Stillstands und der Leere in der Dunkelheit hinzugeben.
Und so wird nicht bzw. selten das Gefühl erreicht, wenn die Depression, das Nichtfühlen, in das "absolute Nichts" übergehen, dort wo Yin und Yang einander berühren und die Hand reichen und Leben in der Fülle von Allem und Nichts im selben Augenblick erlebt werden kann.
Bewirken wir also durch unsere Versuche uns die heile Welt irgendwie künstlich herzustellen, weil wir Angst vor Stillstand haben, genau das? Erzeugen wir uns die Depression aus der Angst heraus, keinen Stillstand, keine Dunkelheit, kein Yin erleben zu wollen? Was wäre, wenn es einfach durchlaufen würde, einfach genauso dazu gehören würde, wie das exzessive Lachen, die ekstatische Freude? Was wäre, wenn die grenzenloseste Traurigkeit, die zutiefste Sinnlosigkeit einfach nur wären? Sonst nichts - keine Bewertung als etwas unbedingt zu Erreichendes, keine Bewertung als etwas Krankes, keine Bewertung als etwas das eine Übergangsstufe zu etwas "Erleuchtetem" ist und damit auch bald verschwindet? Was wäre dann? Was wäre wenn wir beim netten Kaffeekränzchen genauso über das neu erstandene Kleidungsschnäppchen plaudern würden, wie über die tiefe Sinnkrise der letzten Wochen, wenn man sich genauso darüber austauschen könnte mit Freunden etc.? Wäre dann die Depression noch eine Depression, wäre die dunkle Nacht der Seele dann noch etwas Besonderes? Würden wir uns dann leid tun oder als was Besseres sehen oder wäre es Alltag, wie der Weg ins Büro? Vielleicht wäre es auch "nur" der "Sonntagsbraten", denn täglich geht man vermutlich nicht am Abgrund spazieren, wie die meisten wahrscheinlich auch nicht täglich die absolute "Glückseligkeit" erleben werden. Lassen wir das Nichts, lassen wir das Dunkle, das Unsichere, Einzug in unsere Welt halten, empfangen wir es freudig, lassen wir uns begleiten von Menschen, die es kennen und nehmen wir darin Verantwortung an für unser Sein und sein wir zugleich dankbar für die Menschen, die uns begleiten und auffangen oder für Gott oder woran wir eben glauben.
Aus meinem eigenen Erleben heraus hat sich für mich gezeigt, dass gerade das, was für viele Betroffene am Schwierigsten erscheint, - nämlich sich auf das Gefühl von "Nichts" (Anmerkung: Gefühllosigkeit) einzulassen - eine Lösung ist, die sehr viel Kraftanstrengung und sehr viel Kampf gegen das Erleben überflüssig machen würde. Im Fallenlassen in die Leere liegt eine Chance, der "Dame in Schwarz"* auch tatsächlich zuhören zu können, statt vor ihr davonzulaufen oder mit ihr zu "diskutieren" (hadern).
In diesem Sinne möchte ich diese Reflexion mit einem "Bild" abschließen, das für mich persönlich beschreibt, welches Gefühl ein wirkliches Zulassen eines unverstandenen Geschehens mit sich bringen kann:
"Sinke durch den Meeresgrund und lande dabei über den Wolken." (Karin Staudenherz, 2007)
* "Die Depression ist gleich einer Dame in Schwarz. Tritt sie auf, so weise sie nicht weg, sondern bitte sie als Gast zu Tisch und höre, was sie zu sagen hat." (C. G. Jung zugeschrieben)